Intergeschlechtlich sein, bedeutet für viele eine Pathologisierung und Stigmatisierung ihres Körpers erleben und erlebt haben.
Unsere Erfahrungen sind sehr vielfältig – wie die folgenden Zeugnisse zeigen: Die Medizin hat sich in einem Bereich Zutritt verschafft und Macht bekommen, der eigentlich erst einmal ein sozialer ist.

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Elisabeth

Ich brach mein rechtes Handgelenk. Ich wurde eingegipst und ausgegipst. Dann war mein Handgelenk lahm, und ich wurde stationär aufgenommen in ein Reha-Krankenhaus. Bei der Aufnahme fragte mich ein Arzt: Hatten Sie Operationen in ihrem Leben und wenn ja, welche? Meine treue und ehrliche Antwort: Mit 16 Jahren Entfernung von Nasenpolypen und mit 24 Jahren Entfernung meiner Hoden. Der Arzt im belehrenden Tonfall: Nein, Ihre Eierstöcke!
Ich: Meine Hoden! Meine Hoden haben mich weiblich gemacht.
Dann hörte ich des Arztes Stimme in ein Diktiergerät sprechen: Mit 24 Jahren Geschlechtsumwandlung.
Ich: Lassen Sie das! Schreiben Sie: «Unterleibsoperation». Im Übrigen: Was hat mein Unterleib mir meinem Handgelenk zu tun?!

H.

Es hat mich sehr ermutigt, intergeschlechtliche Menschen persönlich zu treffen, vor allem Menschen, die sich ihrer Würde bereits bewusst waren und offen damit umgingen. [ ... ] Sie haben mir ein kostbares, positives Vorbild für mein Leben gegeben [ ... ]. Das Wichtigste ist, dass ich mich vollkommen angenommen und bedingungslos geliebt fühlte. [...] Mir wurde bewusst, dass ich eine intergeschlechtliche Person bin, und dass ich mich für nichts schämen muss. Dass ich lieben und geliebt werden will und dass ich Liebe verdiene. [...] Ich finde es sehr wichtig, Intergeschlechtliche· zu ermutigen, unsere eigenen Geschichten zu erforschen und aufzuschreiben.

Diana

Im Nachhinein betrachtet war meine ganze Erfahrung mit Lügen, Angst und Scham verschleiert. Belogen zu werden, machte mich wütend, und mit dieser Wut wusste ich nicht wie umgehen. Die Angst, anders zu sein, keine «normale» Frau zu sein, war sehr deprimierend, und die Scham, die aus diesen Lügen, Ängsten entstand, führte dazu, dass ich mich isoliert fühlte, von anderen. Eine Selbsthilfegruppe zu finden, war das Beste, was mir je passiert ist. Ich entdeckte Freude und Glück mit Menschen, die Ähnliches oder Schlimmeres durchgemacht hatten als ich selbst.

Konrad

Ich hatte einen Brief an die Ärzte geschrieben, die mich als Kind behandelt hatten. Ich beschrieb die Scham, die Demütigung und das Leid, das ich durch sie erfahren hatte. Ich wollte klarstellen, dass meine Erfahrungen nicht auf meine Krankheit zurückzuführen waren, sondern auf die medizinische Behandlung und die unfreiwillige Teilnahme an klinischer Forschung, der ich über zwanzig Jahre lang ausgesetzt war. Ich schrieb, dass die Behandlung bei mir körperliche Narben und psychische Wunden hinterlassen hat.

Charlotte

Ich war im Februar 2016 bei einer Endokrinologin, und sie sagte, ich müsse einen Test machen, um festzustellen, ob ich rezessive Gene habe oder ob ich diejenige bin, die mutiert hat. Und ich sagte: «Okay, ich mache es, wenn es der Medizin hilft, aber was bringt der Test?», und sie sagte: «Ah, wenn deine Schwester, die nicht krank ist, schwanger wird, kann sie die richtige Entscheidung treffen. (Stille) Abbruch.» Und ich dachte mir: «Okay. Also werde ich diesen Test nicht machen.» Und dann sagte sie mir: «Ja, sehen Sie, manche Menschen sind normal, manche Menschen sind nicht normal, Sie müssen Ihre Krankheit akzeptieren», und eine Stunde lang wiederholte sie, dass ich nicht normal sei, dass ich krank sei und dass meine Schwester abtreiben sollte, wenn sie ein Kind wie mich hätte.

Eine Mutter

Ich habe als Mutter Entscheidungen getroffen, die ich nicht hätte treffen sollen und ganz bestimmt nicht die Ärzte. Ich bin der festen Überzeugung, dass intergeschlechtliche Menschen die einzigen sein sollten, die Entscheidungen über ihren eigenen Körper treffen dürfen. Ich habe gelernt, dass Geheimhaltung die Mutter der Schande ist.

(Unsere Übersetzungen)


…. die Erfahrungen füllen ganze Bücher. Hier finden Sie einige Quellen:
 

OII Europe. #MyIntersexStory. Personal accounts by intersex people living in Europe. 2019.
 

VOICES: Personal stories from the pages of Narrative Inquiry in Bioethics (NIB) (2015). Normalizing Intersex. Personal Narratives by Konrad Blair, Diana Garcia, Laura Inter, Amanda, Lynnell Stephani Long, Pidgeon Pagonis, Jay Kyle Petersen, Emily Quinn, Daniela Truffer, Hida Viloria, Sean Saifa Wall, Karen A. Walsh, Kimberly Zieselman and Commentaries, James M. DuBois/Ana S. Iltis (Eds.). 2016.
 

Andreas Hechler. „Was ist es denn?“: Intergeschlechtlichkeit in Bildung, Pädagogik und Sozialer Arbeit: 161-85. In: Katzer Michaela; Voss Heinz-Jürgen (Hrsg.): Geschlechtliche, sexuelle und reproduktive Selbstbestimmung : praxisorientierte Zugänge. Giessen 2016.
 

Loé Petit. De l’objet médical au sujet politique : récits de vies de personnes intersexes. Paris 2017-2018.
 

Voices of intersex people

... in Jens M. Scherpe, Anatol Dutta, Tobias Helms (eds.). The Legal Status of Intersex Persons. Cambridge 2018.